Robia ist eine 25jährige Seelöwendame im Zoo Basel. Eines Tages wurde sie mit schwerem Blepharospasmus (Kneifen der Augenlider) des rechten Auges, serösem (wässrigen) Augenausfluss, mehrtägiger Nahrungsverweigerung und deutlich reduziertem Allgemeinbefinden vorgestellt. Die Untersuchung unter Vollnarkose ergab eine Katarakt (Linsentrübung), ein diffuses Hornhautödem (Trübung und Schwellung der Hornhaut), eine Linsenluxation (Vorfall der Linse) in die vordere Augenkammer und einen massiv erhöhten Augendruck. Das linke Auge war bis auf eine leichte Katarakt unauffällig. Da Vollnarkosen insbesondere bei älteren Seelöwen riskant sind, weil das Auge schmerzhaft und die Prognose für das Sehvermögen dieses Auges vorsichtig war, wurde das Auge noch in der selben Narkose enukleiert (entfernt). Der postoperative Verlauf war unauffällig und sie gewöhnte sich an das monokulare (einäugige) Sehen.

Acht Monate später verweigerte Robia erneut plötzlich die Nahrungsaufnahme und auch aus der Ferne fiel eine weissliche Trübung nun auch des linken Auges auf. Das Tier wurde erneut narkotisiert und genauer untersucht. Auf der rechten Seite sah die Situation nach der Enukleation ruhig aus: Anzeichen einer Entzündung oder Infektion lagen nicht vor. Das linke Auge zeigte eine trübe Hornhaut, einen Augeninnendruck von 25 mmHg und eine Dislokation der Linse in der vertieften Vorderkammer. Schnell stand also fest: entweder musste das monokulare Tier nun eingeschläfert werden – oder eine Augenoperation durchgeführt werden, um die Linse zu entfernen. Mit in Betracht gezogen werden musste auch die Belastung für das Tier und die Prognose für das Auge nach einer Operation. Bei einem Wildtier (auch im Zoo) ist weder eine engmaschige Nachkontrolle des Auges, noch eine intensive Behandlung mit Augentropfen, wie es normalerweise nach Augenoperationen Standard ist, möglich. Wir entschieden uns, eine Operation zu wagen.

Die Operation musste aus logistischen Gründen im Seelöwenstall durchgeführt werden – der Transport in einen Operationssaal wäre für das Tier zu riskant gewesen. Ein Operationsmikroskop stand also nicht zur Verfügung – lediglich eine Lupenbrille. Das 80 kg schwere Tier wurde narkotisiert und auf Gemüsekisten gelagert, eine Intubation und engmaschige Narkoseüberwachung wurde durchgeführt. Die periokuläre Desinfektion und sterile Abdeckung wurde gemäss gängigen Standards durchgeführt – also wie in Operationssälen bei Mensch und Tier. Es brauchte einen grossen Lidsperrer, da der Augapfel von Seelöwen deutlich grösser als der von Menschen und vielen anderen Tierarten ist. Linsen von Wasserlebewesen sind im Gegensatz zu zum Beipiel menschlichen Linsen praktisch kugelrund, da der Unterschied der Brechungsindices zwischen Hornhaut und Wasser nur sehr klein ist. Somit muss die Lichtbrechung hauptsächlich im Auge stattfinden, also durch die Linse mit maximaler Krümmung. Robia`s Linse wurde samt Kapsel (sogenannte ICCE-Kataraktoperation) operativ entfernt, das Auge aphak (also ohne künstliche Ersatzlinse) belassen und die Operationswunde mit resorbierbarem Nahrmaterial vernäht. Auffällig war bei der Operation die Rigidität des Gewebes: Die schneidenden Einmalinstrumente mussten mehrmals gewechselt werden, da sie schon nach kurzem Gebrauch stumpf waren. Auch das Nahtmaterial musste angepasst werden: die sonst bei dieser Art von Operation üblichen Nylon 9-0 Nähte erwiesen sich als unbrauchbar, weswegen auf deutlich dickeres Nahtmaterial (6-0) gesetzt werden musste. 24 Stunden nach der Operation wurde die Seelöwin, versorgt mit systemischer Antibiose und Schmerzmitteln, wieder ins Wasser gelassen.
Der postoperative Verlauf war erfreulich unproblematisch. Zwar blieb die Hornhaut leicht getrübt und die visuelle Anpassung erforderte etwas Zeit, aber bereits nach zwei Wochen war das Tier wieder in der Lage, einen geworfenen Fisch aus einem Meter Entfernung zu fangen. Robia geht es auch Monate nach der Operation weiterhin gut. Sicherlich hat ihr auch geholfen, dass Seelöwen als Pinnipeden nicht nur auf visuelle Sehleistungen angewiesen sind sondern auch sogenannte Schnurrhaarspezialisten sind. Die Schnurrhaare (auch Vibrissen genannt) sind beweglich und an der Basis sensibel innerviert. So helfen sie dem Tier sich zurechtzufinden. Auch lebt Robia zusammen mit ihrem Rudel in einer ihr bestens vertrauten Anlage.
Wer Robia persönlich besuchen möchte, kann im Zoo Basel nach der einäugigen Seelöwendame Ausschau halten – nun kennt ihr ihre Geschichte!
Dieser Artikel erschien (in einer ausführlicheren Version) in ophtha – der Schweizerischen
Fachzeitschrift für Augenärztliche Medizin und Technologien – im Februar 2022 in der Rubrik «Der interessante Fall». Dieser Auszug erfolgt mit freundlicher Genehmigung.